Zu den atemberaubenden Geheimnissen des Regenwaldes gehören zweifellos seine zahllosen Nutz- und Heilpflanzen. In der Medizin werden heute insgesamt etwa 70.000 Pflanzenarten genutzt. Jedes vierte Medikament enthält Wirkstoffe aus Waldpflanzen. Wusstest Du zum Beispiel, dass die tropische Sisal-Agave den Rohstoff für bestimmte Hormone in Verhütungsmitteln liefert?
Regenwaldschutz ist Gesundheitsvorsorge
Die große Vielfalt an natürlichen Ressourcen, die uns die Biodiversität zur Verfügung stellt, ist die Basis unseres Lebens. Neben Nahrung, Brennmaterial, Baustoffen und vielem mehr stellt uns die Natur eine Vielzahl an Substanzen für unsere Medikamente zur Verfügung. Eine sehr große Anzahl unserer Heilmittel basiert auf Wirkstoffen aus der Natur. Somit ist Biodiversität auch für unsere Gesundheit wichtig.
Es gibt etwa 70.000 Pflanzenarten, die medizinisch genutzt werden. In Waldgebieten ist die Anzahl an Heilpflanzen besonders hoch: Jedes 4. Medikament aus unserer Apotheke enthält Wirkstoffe, die ursprünglich aus Waldpflanzen entwickelt wurden.
Aber nicht nur die Vielfalt an besonderen Arzneimitteln, sondern auch das Wissen und die Tradition der indigenen Völker hierüber ist von großer Bedeutung. Mit der fortschreitenden Zerstörung des Tropenwaldes verlieren viele dieser Gemeinschaften ihre Lebensgrundlage und wandern mehr und mehr in Städte ab. Hinzu kommt, dass die moderne Medizin eine dominante Rolle einnimmt und die traditionelle Medizin zunehmend ablöst. In Folge geht immer mehr wertvolles traditionelles Wissen verloren.
Doch es gibt auch Ausnahmen: Die Kichwa-Gemeinde in Sarayaku im Amazonas-Becken in Ecuador hält bewusst an ihrer traditionellen Lebensweise fest und will das medizinische Wissen ihrer Schamanen bewahren. Wir von OroVerde unterstützen die Gemeinde bereits seit einigen Jahren bei ihrem Kampf um den Schutz des Regenwaldes und sorgen so dafür, dass sich Schamanen über ihre traditionelle Medizin weiterhin austauschen und diese weitertragen können.
Innovation in der Medizin
Leider sterben viele Pflanzen- und Tierarten aus, bevor Forscher*innen ihrem Geheimnis auf die Schliche kommen können. Zu spät waren die Wissenschaftler*innen zum Beispiel beim Magenbrüterfrosch: Die Kaulquappen dieser ehemals in Australien lebenden Frösche wurden vom Weibchen in deren Magen aufgezogen. Damit der Nachwuchs nicht einfach verdaut wird, produzierten die Kaulquappen ein Sekret, dass die Magensäureproduktion der Mutter hemmt. Als Wissenschaftler*innen diese Fähigkeit für den Einsatz gegen Magengeschwüre und Gastritis untersuchen wollten, war das letzte Exemplar des Magenbrüterfrosches bereits gestorben und das medizinische Potenzial somit verloren.
Doch nicht nur im Bereich der medizinischen Entwicklung birgt die „Apotheke Regenwald" ein großes Potenzial. Auch im technischen Bereich machen wir uns die Fähigkeiten der Pflanzen zunutze: Die Wissenschaft der Bionik überträgt Phänomene der Natur auf die Technik und ahmt so ihre optimierten Prozesse und Strukturen nach. So wurde auch der bekannte Lotus-Effekt entdeckt, der heute in zahlreichen Anwendungsgebieten zu finden ist.
Biopiraterie und die Pharmaindustrie: Diebstahl von Wissen und genetischen Ressourcen
Tropische Pflanzen und indigenes Wissen haben der westlichen Medizin zu vielen wirksamen Medikamenten verholfen. Mit diesen verdient die Pharmaindustrie jedes Jahr mehrere Milliarden Euro. Doch dort, wo die tropischen Pflanzen und das traditionelle Wissen herkommen, kommt von diesem Profit meist nur wenig oder gar nichts an. Häufig werden indigenes Wissen und traditionelle Ressourcen – wie etwa tropische Heilpflanzen – ohne die Zustimmung oder Vergütung der traditionellen Wissensträger exportiert, patentiert und vermarktet; wenn das der Fall ist, spricht man von Biopiraterie.
Eigentlich ist der Zugang zu genetischen Ressourcen durch das sogenannte Nagoya-Protokoll festgelegt, das bei der UN-Biodiversitätskonvention in Japan im Jahre 2010 verabschiedet wurde. Dieses sieht vor, dass es zwischen Herkunftsländern und westlicher Industrie ein sogenanntes Access and Benefit-Sharing geben soll (kurz ABS), um einen fairen Austausch zu garantieren. Das bedeutet den Tausch von Wissen und biologischen Ressourcen durch entweder finanzielle Vergütungen oder das Verschaffen von anderen Vorteilen wie etwa der Beteiligung an Forschungs- oder Bildungsprojekten.
Leider gestaltet sich die Durchsetzung von Access and Benefit-Maßnahmen oft als schwierig. Häufig sind diese nicht an indigene Verwaltungsstrukturen angepasst, was dazu führen kann, dass Ausgleichsgelder nicht richtig verteilt werden und letzten Endes nicht dort ankommen, wo sie benötigt werden. Zweifelsohne stellen das Nagoya-Protokoll und die daraus resultierenden ABS-Maßnahmen einen wichtigen politischen Schritt im Kampf gegen Biopiraterie dar – jedoch muss an ihrer Umsetzung noch gearbeitet werden, um tatsächlich einen fairen Austausch zu garantieren.
Zoonosen und Epidemien
Rund 70 bis 75 Prozent aller aufkommenden Infektionskrankheiten des Menschen stammen ursprünglich von Tieren. Wie Biolog*innen bereits in Studien zeigen konnten gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Zerstörung von Ökosystemen und der Wahrscheinlichkeit von Infektionen bei Wildtieren mit potenziell auch Menschen gefährdenden Krankheiten. Wie die Zerstörung von Ökosystemen und die Infektion von Wildtieren mit für den Menschen potenziell gefährlichen Krankheiten zusammenhängen, untersuchen verschiedenste Expert*innen - Teams. Eines davon leitet die Biologin Simone Sommer an der Universität Ulm. Ihr Team konnte mit Hilfe von Studien über Fledermäuse und Nagetiere in Panama zeigen, dass Umweltzerstörung und der Ausbruch von Infektionskrankheiten im direkten Zusammenhang stehen: In einem intakten Ökosystem leben viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten mit unterschiedlichsten Spezialisierungen. Auch Viren sind ein natürlicher Bestandteil solcher Systeme. Sie können sich in der Regel jedoch nicht so schnell ausbreiten. Wird nun Lebensraum – zum Beispiel durch die Abholzung von Regenwald – zerstört, sinkt die Biodiversität in diesem Ökosystem. Nun haben es Arten leichter, die sich schnell an die veränderten Umweltbedingungen anpassen und verschiedenste Nischen besetzen können. Doch genau in solchen stark gestörten Ökosystemen ist der Ausbruch einer Epidemie wahrscheinlicher.
Auch weitere Studien anderer Experten zeigen: Die Auslöser solcher Ausbreitungen – wie es gerade bei Covid-19 der Fall ist – sind menschengemacht! Die Corona-Pandemie hat die Welt in Alarmbereitschaft versetzt und nun hoffentlich den Zusammenhang zwischen der Biodiversität und unserer Gesundheit deutlich gemacht.
Wie viele Heilmittel kommen aus dem Regenwald?
Mehr als 70.000 Pflanzenarten auf der Welt werden traditionell von indigenen Völkern oder in der modernen Medizin eingesetzt. In Regenwaldgebieten ist die Anzahl an Heilpflanzen besonders hoch. Eine Vielzahl der Arten kommt nur in diesen artenreichen Regionen vor.
Der Tropenwald liefert uns zum Beispiel wichtige Grundsubstanzen für die Chemotherapie von unterschiedlichen Krebsarten. Diese Mittel werden unter anderem aus dem „Madagaskar-Immergrün“ gewonnen. Menschen, die im Regenwald leben, verwenden den Blütenauszug dieser Pflanze auch, um Halsschmerzen und Erkältungen zu bekämpfen. Der Regenwald bietet eine unglaubliche Menge an Pflanzen und Tieren, die wertvolle Stoffe für unsere Medikamente liefern. Viele Arten sind noch nicht erforscht, daher hoffen Wissenschaftler*innen irgendwann ein Mittel zur Krebsheilung im Regenwald zu finden. Die Gifte, Betäubungsmittel, Drogen und mehr dienen den Pflanzen und Tieren selber meist als wirksames Mittel gegen Fressfeinde. Durch Isolierung dieser Stoffe ist es uns möglich, sie in passender Dosierung in der Medizin anzuwenden.
Fünf bekannte Heilpflanzen aus dem Tropenwald
Wie groß das medizinische Potenzial der „Apotheke Regenwald“ tatsächlich ist, lässt sich nur erahnen. So versuchen Forscher*innen unter anderem mithilfe der indigenen Menschen und ihrem großen Wissensschatz, den Geheimnissen der Naturapotheke auf die Schliche zu kommen und sie für uns nutzbar zu machen. Bevor dies gelingt, sterben leider immer wieder Arten aus. Regenwaldschutz ist also auch Gesundheitsschutz! Dabei werden die meisten pflanzlichen Wirkstoffe nicht in reiner Form aus der Pflanze isoliert und unmittelbar als Arzneimittel eingesetzt, sondern sie dienen oft als Ausgangsstoff zur Herstellung von Medikamenten, die dann bei uns in Form von Tabletten, Salben oder Tinkturen verwendet werden. Beispielsweise liefert die tropische Sisal-Agave ein sogenanntes Pflanzensteroid namens Hecogenin, das als Rohstoff für die Herstellung bestimmter Hormone dient, die zum Beispiel in Verhütungsmitteln zum Einsatz kommen.
Hier werden ein paar spannende Beispiele für tropische Pflanzen vorgestellt, deren Wirkstoffe längst in der westlichen Medizin etabliert sind:
Wie der Name bereits vermuten lässt, stammt diese krautige Pflanze ursprünglich aus Madagaskar, ist mittlerweile jedoch weltweit in den Tropen verbreitet.
In der Medizin werden ihre Blätter verwendet, die die Wirkstoffe Vincristin und Vinblastin enthalten. Diese kommen bei der Behandlung bestimmter Krebsarten zum Einsatz, z. B. bei Leukämie und Lymphomen. In der Krebstherapie spielen Wirkstoffe aus Pflanzen übrigens eine besonders große Rolle: Mehr als die Hälfte der Krebsmedikamente, die zwischen 1981 und 2019 in den USA zugelassen wurden, sind natürlichen Ursprungs.
Als süße exotische Delikatesse kennt sie jeder von uns: Die Frucht der Ananaspflanze, eine der bekanntesten Arten der Bromeliengewächse.
Aber nicht nur die Frucht, auch der Stamm dieser tropischen Pflanze ist für uns von Interesse. Er enthält Bromelain, ein Gemisch aus entzündungshemmenden und abschwellenden Enzymen. Man setzt dieses z. B. nach Operationen und bei Verletzungen ein, aber auch bei Nasennebenhöhlenentzündungen.
Schon vor Jahrhunderten wussten die Ureinwohner Brasiliens, dass das Kauen der aromatisch riechenden, scharf schmeckenden Blätter des Jaborandi-Strauches zu vermehrtem Schwitzen und Speichelfluss führt. Später erkannte man zudem, dass sich durch den Konsum die Pupillen verengen. Dies machte die Pflanze interessant für die Augenheilkunde. Der aus den Blättern isolierte Wirkstoff Pilocarpin wird heute vor allem in Augentropfen zur Senkung des Augeninnendrucks verwendet. Als Tablette kommt er außerdem bei schweren Störungen der Speichelbildung zum Einsatz.
Ebenfalls in den Tropen beheimatet ist der Ingwer. Der Wurzelstock der kultivierten Staude ist bei uns nicht nur in der Getränke- und Lebensmittelindustrie beliebt, sondern auch aufgrund seiner vielfältigen therapeutischen Wirkungen. Als belegt gelten seine Wirksamkeit gegen Übelkeit sowie seine entzündungshemmenden Eigenschaften. Als Arzneimittel wird der gemahlene Ingwerwurzelstock in Kapseln gegen Reiseübelkeit verabreicht.
Diese tropischen Schlingpflanzen mit ihren großen, spektakulären Blüten sind hauptsächlich in den Regenwäldern Mittel- und Südamerikas beheimatet. Schon im 16. Jahrhundert brachten spanische Eroberer das Wissen über die therapeutischen Wirkungen der Passionsblume mit nach Europa.
Die Extrakte aus dem Kraut der Pflanze werden traditionell bei nervösen Unruhezuständen und Einschlafstörungen angewendet. Aufgrund ihrer vielfältigen positiven Wirkungen war die Passionsblume 2011 hierzulande sogar „Arzneipflanze des Jahres“.
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