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Im Nationalpark Sierra del Lacandón am Rand des Regenwaldes lebt Rosita. Die 15-Jährige aus einer indigenen Familie ist Teil des Jugendprojekts von OroVerde. Sie träumt von einer besseren Zukunft – und von Poesie.

15. November 2024 | Christian Neeb

Die Finger halten den Stift mit festem Griff und fahren sanft über die Seite. Es sind Finger, die harte Arbeit kennen. Finger, die doch zart das sichtbar machen, was in dem Kopf des Mädchens vor sich geht, das da unter den Bäumen sitzt. Pink, türkis, orange und blau blitzt es zwischen dem Grün der Blätter. Das bunte Kleid ist Rosa Magdalena Sacul Pops größter Schatz. Wie für viele Mädchen und Frauen in den ländlichen Regionen Guatemalas. Die Kleider sind ihre Tradition und wertvolle Besitztümer.   

Hier oben im Norden des mittelamerikanischen Landes lebt Rosa, die alle nur Rosita rufen. Im Dorf Pozo Azul – der blaue Brunnen – im Nationalpark Sierra del Lacandón nahe der Grenze zu Mexiko steht das Haus ihrer Eltern. Hinter diesem Haus, hinter dem Garten beginnen die Bäume. Dort hat Rosita ihren Rückzugsort und dort werden aus ihren Gedanken, Wünschen und Träumen Worte.

Jeden Tag im Morgengrauen
kommt die Farbe Grün heraus,
sie sieht aus wie grünes Gold
versteckt in der Dämmerung.

Die Erde ist eine Schönheit,
der Mond lächelt,
die Sonne lächelt
beim Anblick der Natur.

Vögel fliegen
wie Schmetterlinge
und ein Engel fliegen.

Der Himmel ist schön
und von blauer Farbe.
Die Natur ist schön.

Ein Traum von Tieren

„Ich habe vier Schwestern und drei Brüder“, sagt Rosita. „Wir leben zusammen in einem Haus mit meinen Eltern. In einem Raum schlafen wir alle auf Hängematten. Auf dem Grundstück wohnen noch meine Onkel, Tanten und ihre Kinder. Wir haben auch Tiere. Hühner und Schweine. Und auch zwei Pferde.“ Die Tiere sind alles für sie. In einem ihrer Gedichte schreibt sie „Ich mag Tiere lieber als Menschen. Sie sind ein Wunder der Natur. Und sie tun nichts Schlechtes.“ Wenn sie erwachsen ist, möchte Rosita Tierärztin werden – ein angesehener Beruf besonders in den ländlichen Regionen Guatemalas, in denen viele Menschen Vieh halten. Auch in den indigenen Familien, wie der Rositas. „Meine Eltern sind Landwirte. Sie bauen Mais, Bohnen, Sesam und Chili an. So verdienen wir Geld. Ich gehe gerne mit meinem Vater auf die Felder, um ihm zu helfen. In unserem Garten wachsen Kakao und Kaffe, auch viele Früchte wie Orangen, Mandarinen, Zitronen und Kräuter wie Koriander und Pfeffer.“

In Pozo Azul geht die 15-Jährige auch zur Schule, die etwa 15 Minuten von dem Haus ihrer Eltern entfernt liegt. Das blaugetünchte Gebäude liegt ebenfalls mitten im Grün des Waldes – der Campus Azul. Knatternd nähert sich ein junger Mann auf einem Motorrad. Wie viele seiner Schüler*innen kommt auch Donaldo Portillo motorisiert zum Unterricht – denn viele haben einen weiteren Weg als Rosita. Der 34-Jährige lebt im benachbarten Villa Hermosa. An den Vormittagen unterrichtet er die Grundschüler*innen, nachmittags die Oberstufe.

Der Kampf der Mädchen

Rosita besucht den Unterricht von Portillo mit 13 anderen Kindern. „Sie ist sehr respektvoll, engagiert und verantwortungsbewusst“, sagt ihr Lehrer. „Rosita ist eine Künstlerin.“ Im Klassenzimmer hinter ihm hängen an den Wänden auch Bilder von Rosita – ihre Gedichte kennen sie hier alle. Aber als Portillo über Rositas Zukunft spricht, wird sein Lächeln schmaler.

„Rositas Familie hat nicht viel Geld“, sagt Portillo. Und für viele Mädchen in der Gesellschaft sind Bildung, Karriere und Unabhängigkeit nicht vorgesehen. „Wir wollen eine Veränderung schaffen und wir arbeiten sehr hart daran“, sagt Portillo. „Ihre Schwester war auch eine sehr gute Schülerin. Aber sie musste die Schule dann vor dem Abschluss verlassen.“

Aufgeben will Ronaldo Portillo aber nicht. Er besucht immer wieder die Eltern Rositas und anderer Kinder wie ihr und versucht sie von den Möglichkeiten durch Bildung zu überzeugen. Denn auch Rosita droht das Schicksal ihrer älteren Schwester – ohne Abschluss zurück in die traditionelle Frauenrolle in den Familien. Unterstützung erhält sie im Jugendprojekt von OroVerde und der Partnerorganisation Defensores de la Naturaleza.

Junge Menschen, junge Bäume

Gelächter, Kreischen - am Treffpunkt des Jugendprojekts in Villa Hermosa hat sich eine große Menge versammelt. Neben den Setzlingen, die am anderen Ende des Projektes für Baumpflanzungen groß werden, johlen helle Stimmen durcheinander. Eine Schauspieltruppe aus der Hauptstadt ist zu Gast. Und die Jugendlichen haben ein paar Stunden eine Abwechslung zu ihrem Alltag. Der Schule, der Arbeit zuhause und auf dem Feld der Eltern wie bei Rosita oder im kleinen Laden der Mutter von Floricelda. Jetzt schlüpfen sie in die Rollen von Verkaufstalenten und bieten das Beste an – sich selbst. Wie können Kinder mit ungewisser Perspektive Selbstbewusstsein entwickeln? Die gelösten, glücklichen Gesichter hier zeigen, dass es zumindest für einen Moment gelingt.

Während der 14-jährige Miguel Dany sich vor seinen Freundinnen und Freunden anpreist, wird nebenan das Mittagessen aufgetragen. Auch die Kinder aus der Nachbarschaft eilen herbei – die Achtjährigen Jaicon und Anderson sind hier ständig zu Gast. Obwohl sich das Angebot des Jugendprojekts eher an ältere richtet, sind sie willkommen. Jaicon, der eine besondere Liebe zu den kleinen Setzlingen hat – und eine innige Freundschaft zu Don Meme, dem Fahrer der Defensores.

„Ich will mal Naturforscher werden“, kräht Jaicon und grinst. Gemeinsam mit seiner Mutter und mit seinen fünf Geschwistern lebt er im blauen Haus um die Ecke. Sein Vater? „Papa ist in den USA. Da arbeitet er für uns.“

Flucht über Grenzen

Die Armutsmigration aus dem Land hat die guatemaltekische Gesellschaft fragmentiert. Kaum eine Begegnung mit einem Menschen, dessen Familie nicht davon betroffen wäre. Auch Rositas älterer Bruder ist in die USA geflohen. Eine Flucht in eine vermeintlich bessere Welt, die für das Mädchen kaum machbar ist.

„Einer der Hauptgründe für die Situation von Mädchen und Frauen ist kulturell bedingt“, sagt Rositas Lehrer. „Das Bildungszentrum soll hier auch einen Wechsel in der Denkweise herbeiführen. Wenn diese Mädchen nicht lernen können, was machen sie dann? Sie bekommen Kinder. Das ist auch in der indigenen Bevölkerung weit verbreitet. Wir müssen dieses Denken durchbrechen und die Mädchen stärken.“

Ob die Änderungen schnell genug kommen für Rosita? Vorerst bleiben ihr nur die Träume. Von einem Abschluss. Von einer Ausbildung als Tierärztin. Von einem besseren Leben. Nach der Schule kommt Rosita wieder zurück nach Hause. Vor dem Haus macht sie sauber. Zwei Truthähne streiten, neben dem sorgsam gepflegten Gemüsegarten suhlen sich zwei Schweine. „Ich mache gerne vor dem Haus sauber, weil ich gerne unter den Bäumen bin und dem Zwitschern der Vögel zuhöre“, sagt Rosita. Nach den Hausaufgaben bereitet sie das Abendessen vor. Dann ist wieder Zeit. Für Zeichnen. Fürs Schreiben. Hinten, hinterm Haus. Bevor es dunkel wird und sie in ihre Hängematte geht.

Rosita schreibt:

Die Schönheit verloren im Himmel

Der Mond ist eine große Schönheit
mit den Sternen, die ihn begleiten.
In jeder Nacht kommt eine Schönheit
die uns nie allein lässt.

Der Mond erhellt die Nächte.
Der Mond berät die Traurigen.
Der Mond kommt jede Nacht hervor,
berät die Menschen, die immer traurig sind.

Der Mond ist immer an einem schönen Ort,
so wie du in meinem Herzen bist.
Jeden Abend bei dir zu sein ist das Schönste.

Mond, weil du mich schon berätst,
brauche ich den Rat in Sachen wahre Liebe.
Danke, dass du mich verstehst und mir Rat schenkst.

 

Ihr Pressekontakt

Christian Neeb
Referent
Presse + Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: +49 228 24290-49
cneeb[at]oroverde[dot]de

Fotonachweis: ©OroVerde - C. Neeb (alle Fotos )

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